von Benedikt Feiten
Der gleichnamige Bahnhof
Was genau mich an diesem Gebäude fesselt, kann ich nicht so genau ausdrücken. Vielleicht ist es seine skizzenhafte Anmutung, so als wäre eine Bauzeichnung mit allen Hilfslinien dreidimensional umgesetzt worden. So strahlt es für mich eine planhafte Vorläufigkeit aus, die auf unterschiedliche Art zu den drei Figuren im Roman passt.
Hotels
In Leiden verweilte ich in vier unterschiedlichen Hotels, von der recht unterschiedslosen Kettenfiliale bis zum mehr alt als ehrwürdig knarzenden Altstadthaus. Ohne sie ganz konkret als Vorlage verwendet zu haben, sind verschiedene Details eingeflossen, etwa das verwinkelte, mit Teppich ausgelegte Treppenhaus bei Cristinas Aufenthalt in Leiden. Ich glaube nicht, dass ich vorher schon einmal in einer Stadt in so kurzer Zeit in verschiedenen Hotels war. Es hat mich erstaunt, wie ich durch die Lage und Aufmachung dieser temporären Heimaten auch die Stadt ganz unterschiedlich erlebt habe.
Wandgedichte
Aufgrund der Pandemie konnte ich erst zu einem späten Zeitpunkt des Schreibprozesses nach Leiden reisen. Schon vor der Reise hatte ich Gedichte recherchiert, die im Roman vorkommen sollen, aber in Leiden kam es mir mit einem Mal vor, als ob die Gedichte in meinen Text hineingreifen. Zum Beispiel Rainer Maria Rilkes »Das ist die Sehnsucht«, das mir in vielerlei Hinsicht wie eine Auffächerung von Grundmotiven erscheint, mir aber erst in Leiden begegnet ist. In einem Bild ist meine Auflistung der Gedichte zu sehen, die ich besuchen wollte. Als wertvoller hat sich aber das Gefühl dafür entpuppt, wie die Gedichte in der Stadt platziert sind, wo sie einem unvermittelt über die Schulter gucken und das Glück einer unverhofften Zufallsbegegnung spüren lassen. In unterschiedlichen Sprachen und Schriften, wie am Kanal in Lontara. Hier könnt ihr selbst stöbern.
Wandformeln
Neben den Wandgedichten findet man in Leiden auch einige Wandformeln, die sich auf physikalische Entdeckungen berufen. In der Stadt sind mir Lorentzkontraktion, Elektronenspin und Einsteins Feldgleichung begegnet. Natürlich bleibt mir das bildliche Potential nicht verborgen, wenn ich etwa zu letzterer lese, dass jedes Objekt den Raum um sich verformt. Aber nachdem ich einmal miterlebt habe, wie ein Physikprofessor nach einem Vortrag Slavoj Žižeks die Unschärfen in dessen metaphorischer Verwendung der Unschärferelation aufgezeigt hat, wollte ich es nicht verwenden, ohne mir sicher sein zu können, es wirklich verstanden zu haben. Informationen zu den Formeln und dem Bezug zu Leiden gibt es hier.
Burcht van Leiden
Ich hatte vermutet, dass die Burg von weitem sichtbar wäre, aber sie erhebt sich nur wenig über die Stadt (zwischen den Zinnen hindurch blickt man in die oberen Stockwerke der umgebenden Häuser). Dafür, dass sie zentral liegt, ist sie erstaunlich schwer zu finden. Dies ist ein Beispiel dafür, wie froh ich bin, dass ich die Recherchereise nach langer Verhinderung doch noch machen konnte.
Cronesteyn Park
Um Leiden herum gibt es ein paar ähnliche Parks, dieser hier liegt nah an einem Industriegebiet. Der Kies auf dem Weg besteht aus zerbrochenen Muscheln. Es waren nicht viele Menschen dort.
Madurodam
ist ein seltsamer Ort. Man findet dort adrett hergerichtete Sehenswürdigkeiten im Miniaturformat und interaktive Stationen. Auf den ersten Blick erscheint alles wie aneinandergereihte Postkarten-Motive. Aber wenn man genauer hinsieht, wirken die Szenen unangenehm verzerrt und verstörend, da liegt ein Auto auf dem Dach, ein riesiges Spinnennetz überzieht eine Tribüne, da kippen Figuren seltsam aus der Balance, wenden sich starr zueinander wie blasse Zombies. Das ließe sich irgendwie auch als Kommentar auf die spätkapitalistische Gesellschaft empfinden. Wie im Buch beschrieben, kann man sich auch selbst als Figürchen drucken lassen – so dass es nun auch mich in einer Miniaturland-Version gibt.
Abschlussdeich
Ich hatte Glück, dass der Himmel diffus und verhangen war, als ich den Abschlussdeich besucht habe. Von der Aussichtsbrücke sieht der Deich aus wie der ikonisch amerikanische Highway in Richtung Horizont, nur dass Wüste durch Wasser ersetzt ist. Das Standbild des Ingenieurs Cornelis Lely erhebt sich stolz, das Denkmal des namenlosen Steinsetzers erinnert wenige Meter daneben an die vielen Menschen, die den Damm errichteten. An diesem Tag vermittelten die bewegungslosen Windräder hinter der Statue des in der Bewegung erstarrten Arbeiters den Eindruck eines plötzlich eingefrorenen Moments.
Straßenszenen
Egal ob in der Stadt, im Vorort oder bei längeren Fahrten zwischen den Städten, es ist immer wieder erstaunlich wie viel sich hier auf engen Raum verdichtet. Und gleichzeitig wie wenig sich die Menschen voneinander und von der Straße abschotten.
weiterführende Links:
Polder, a film poem in sign language, by Wim Emmerik
Strandbeests by Theo Jansen
Euer Benedikt Feiten