Clemens Meyer – Die Nacht, die Lichter

Wir lesen natürlich nicht nur unsere eigenen Bücher, deshalb hier endlich wieder eine kleine Rezension für unsere Rubrik »Stiefbücher«.

Clemens Meyer Die Nacht die Lichter

Der Leipziger Schriftsteller Clemens Meyer beleuchtet in seinem aktuellen Buch Die Nacht, die Lichter wie schon in seinem Erfolgsroman Als wir träumten wieder die Welt der Menschen am Rand der Gesellschaft, ihnen gilt seine Sympathie. Insgesamt hat er 15 »Stories« in diesem Buch versammelt, für das er auch den Preis der Leipziger Buchmesse erhielt.

Seine Figuren wachsen einem sofort ans Herz. Da ist der Hundebesitzer, der sein letztes Geld beim Pferderennen verwettet, um seinen kranken Hund zu retten. Dann der schwarze Boxer aus Holland, einer jener, die man holt um zu verlieren und so junge Boxer aufzubauen. (Er gewinnt, wird dann aber in einer sehr starken nächtlichen Szene erst von Freunden seines Kampfgegners und dann auch noch von Nazis durch die Straßen gejagt.) Oder es geht um einen Arbeitslosen, der sich in die Ferne zu einem alten Freund träumt. Außerdem spielen Kleinkriminelle, Gabelstaplerfahrer, Knastis, Lehrer eine Rolle, meist Menschen am Rande des Abgrunds. Aber Clemens Meyer erzählt ohne Larmoyanz, ohne den sozialkritisch erhobenen Zeigefinger. Und doch: »Meyer zeichnet ein scharfes Bild unserer sozialen Verhältnisse« (Die Zeit).

Wie er mit wenigen Sätzen, zarten Pinselstrichen geradezu, Milieus beschreibt, Personen charakterisiert, Dinge andeutet, ist wirklich meisterhaft: Er muss nichts erklären, es genügen ein paar Andeutungen, um eine Welt zu erschaffen. Das klingt z.B. so:

»Es ist die letzte Nacht, die ich habe, aber das sage ich ihr nicht, und wir laufen durch die Straßen, und ich blicke auf die Lichter und dann auf sie, denn sie ist genauso schön wie früher, als wären wir immer noch fünfzehn, sechzehn, nein, sie war dreizehn gewesen, und irgendwie ist ein Teil von damals noch in ihr, und ich blicke auf die Lichter und erzähle so dies und das.« (Die Nacht, die Lichter)

Oder so:

»Die Nächte in den Zügen. Das ist das, woran ich noch oft denken muss. Manchmal, in meinen Träumen, bin ich wieder in den Zügen, fahre mit dem Blonden von Stadt zu Stadt. Draußen sind die Lichter, wir trinken Bier oder Whisky, meistens schweigen wir, selten machen wir Pläne, zählen unser Geld.« (Wir reisen)

Oft sind es aber auch die Auslassungen, die alles sagen, so ist z.B. klar, dass die Nachbarn am Monatsende immer zuhause sind, weil ihr Geld alle ist.

Die Nacht, die Lichter ist nicht zuletzt hochspannend (was mir ein gewisses Schlafdefizit während der Lektüre verschafft hat). Bis zur letzten Zeile einer Geschichte erwartet man noch etwas, es gibt ein ständiges Gefühl von Bedrohung, als könnten Dinge geschehen, die das kleine Glück der Protagonisten gleich wieder außer Reichweite schaffen. Man kann das Ende der Stories aus diesem Grund kaum erwarten.

Clemens Meyer selbst sprach mal davon, dass Erzählungen für ihn wie »die Spitze eines Eisbergs« oder »kleine Romane« sein sollen, wobei der größte Teil der Story jedoch »unter Wasser liegt«. Das hat er sehr gut umgesetzt, seine Geschichten deuten an, das meiste entsteht aber im Kopf des Lesers.

Und auch wenn er sich oft des Vorwurfs seitens bestimmter Journalisten erwähren muss: Nein, er ist kein Proletenschriftsteller, der nur über »sein« Milieu schreiben kann. Wie schon gesagt, einem gewissen Milieu gehört seine Sympathie, aber er hat auch als Schriftsteller wirklich etwas drauf. Das hat er mit dem berühmt-berüchtigten schwierigen Zweitling m.E. deutlich unter Beweis gestellt.

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